Ausflug in die Elektromobilität

Avatar von Marcus Schwarze

Dieser Tage begann mein Ausflug in die Elektromobilität. Den alten Schummeldiesel darf ich demnächst bei VW für gerichtlich genehmes gutes Geld zurückgeben, wenn auch nicht unter Vermeidung einer „Aufwandspauschale“ von 300 oder 150 Euro.

Die wol­len ja auch leben. Bemes­sen wird der Auf­wand offen­bar nach Kon­to­stand des ört­li­chen Schum­mel­die­sel-Zurück­nah­me-Part­ners. Ich rech­ne schon mal mei­nen Stun­den­satz hoch für die Auf­wands­pau­scha­le zur Fahrt nach Mayen.

Sei’s drum. Es wird ernst mit der Autosuche.

Favo­rit für ein neu­es Fahr­zeug war bis­her ein Ioniq 5 von Hyun­dai, weil Kol­le­gen der Fach­pres­se ihn für gut befan­den. Eine Pro­be­fahrt mit einem ähn­li­chen Hyun­dai einer Bekann­ten bestärk­te mich in dem Plan.

Ers­te Ris­se bekam der posi­ti­ve Gesamt­ein­druck aller­dings beim Ver­such, einen Ter­min für eine Pro­be­fahrt mit einem ech­ten Ioniq 5 zu bekom­men. Ein Hyun­dai-Händ­ler aus der Regi­on kann sich offen­bar vor Nach­fra­gen kaum ret­ten. Jeden­falls hal­te ich die Reak­ti­ons­ge­schwin­dig­keit auf zwei ent­spre­chen­de Mails und zwei Anru­fe nach einer Woche für ausbaufähig.

Ein zwei­ter Schat­ten fiel nun auf die euro­päi­sche Elek­tro­mo­bi­li­täts­bran­che, als ich in Frank­furt bei Sixt einen „Peu­geot e‑208 oder ähn­lich“ zur über­brü­cken­den monat­li­chen Mie­te abholte.


Er ent­pupp­te sich als Renault Zoe R135. Die­ser Peu­geot e‑208 oder ähn­lich fährt dann also nicht 150, son­dern 140 km/h, das Dreh­mo­ment umfasst 245 statt 260 Nano­me­ter, von 0 auf 100 braucht er andert­halb Sekünd­chen mehr. Sol­che Wer­te hat man als inzwi­schen ver­stän­di­ger Leser der Auto­knall­pres­se natür­lich drauf, genau­so wie den „Ver­brauch kom­bi­niert nach WLTP“ von sage und schrei­be 17,7 kWh/100 km statt 15,4. Geht eigent­lich gar nicht, aber ich woll­te kein Rück­fahr­ti­cket mit der Bahn (17 kWh/100 km – aller­dings pro Fahrgast).

Der freund­li­che Sixt-Mensch räum­te auf Nach­fra­ge ein, dass der Wagen kein Lade­ka­bel hat.

Also, das Auto hat zwar ein „inno­va­ti­ves Bat­te­rie­la­de­sys­tem auch gut für län­ge­re Fahr­ten“ und eine „inte­grier­te Aus­stat­tung“, wie es auf der Web­sei­te heißt – aber kein Lade­ka­bel. Dafür, so Mr. Sixt, ist die­ser Bur­sche hier zu 85 Pro­zent geladen.

Im Über­ga­be­pro­to­koll haben das feh­len­de Kabel schon Fah­rer vor mir mokiert. So reih­te ich mich ein in die Malai­sen der Elek­tro­pio­nie­re, man ist ja schließ­lich forsch beim Kampf gegen die Kli­ma­ka­ta­stro­phe: Sturm­fest und erd­ver­wach­sen stem­men wir uns gegen auch klei­ne Irri­ta­tio­nen. Und die Kabel gebe es an den Lade­sta­tio­nen, schwin­del­te der Mann.

Der eco-Modus

Immer­hin fuhr der Peu­geot e‑208 oder ähn­lich ganz pas­sa­bel auf dem Weg zurück nach Koblenz. Mal abge­se­hen davon, dass die Fede­rung im all­ge­mei­nen wohl eher in Wolfs­burg statt in Frank­reich erfun­den wur­de. Und die Auto­bahn Frankfurt–Koblenz im Beson­de­ren eine beson­ders gut geeig­ne­te für Fede­rungs­me­cha­ni­ker­prak­tis bei Zoe-Bau­ern zur Able­gung der Zwi­schen­prü­fung sein dürf­te. Und ich brauch­te auch nur die hal­be Fahrt­stre­cke, um her­aus­zu­fin­den, wie man auf der Auto­bahn schnel­ler als 100 km/h fah­ren darf. Für Fein­schme­cker: Man drü­cke eine Eco-Tas­te in der Mit­tel­kon­so­le so häu­fig, bis ein nir­gends ange­zeig­ter Eco-Fahr­mo­dus aus­ge­schal­tet ist.

Zurück in Koblenz waren die 85 Pro­zent Bat­te­rie­la­dung deut­lich geschrumpft, auf dem Tacho blie­ben 40 Kilo­me­ter Reich­wei­te. Wer jemals das Navi des Peu­geot e‑208 oder ähn­lich bedient hat, will nie wie­der eine Elek­tro-Tank­stel­le suchen müs­sen. Dank frü­he­rer inves­ti­ga­ti­ver Recher­chen war mir eine Lade­sta­ti­on an einer nahe­ge­le­ge­nen Schu­le bekannt, man ist ja gefuchst so als Elektropionier.

Vor Ort auf dem Schul­park­platz die nächs­te Fra­ge: Wie öff­net man das Logo im Küh­ler­grill? Dafür gibt’s zum Glück Anlei­tun­gen im Inter­net. Wie öff­net man die zusätz­li­che Schutz­ab­de­ckung dahin­ter? Dafür gibt’s kei­ne Anlei­tung im Inter­net, und ich habe wirk­lich JEDE ZOE-SEITE IM NETZ GESEHEN, auch die … aber las­sen wir das.

Ein Kabel hat die­se Lade­sta­ti­on merk­wür­di­ger­wei­se nicht, der Sixt-Mann war gewiss noch nie in Koblenz, die­ser Schlingel.

Lösung im Frank?

Wie öff­net man die Motor­hau­be des Zoe, in der Hoff­nung, dass da viel­leicht doch ein Kabel im Frunk ver­steckt ist? Wir Elek­tro­ex­per­ten wis­sen: Das ist ein Kof­fer­raum vor­ne im Auto, ein Front Trunk, und in die­sem Frank kann man gut die Lade­ka­bel ver­stau­en. Das all­wis­sen­de Inter­net bringt zutage:

  • a) Zum Öff­nen der Motor­hau­be im Zoe gibt’s einen ver­steck­ten zusätz­li­chen Schalter;
  • b) der Zoe hat kei­nen Frank;
  • c) die­ser Peu­geot e‑208 oder ähn­lich hat defi­ni­tiv kein Lade­ka­bel an Bord.

Zumin­dest in der Theo­rie woll­te ich mal das Laden durch­spie­len. Wie bedient man die Lade­sta­ti­on? EC-Kar­te rein, PIN ein­ge­tippt, Kabel ange­schlos­sen? Geht so ja auch beim Kauf von Kippen.

Ergeb­nis am Tat­ort Lade­sta­ti­on Gym­na­si­um Aster­stein: Sie hat kei­nen EC-Kar­ten-Schacht. Auch kei­nen Knopf, um Hil­fe anzu­fra­gen. Oder eine Tele­fon­num­mer, um mal nach­zu­fra­gen, wie das geht. Geschwei­ge denn eine 1–2‑3-Schritt-für-Schritt-Anleitung nach dem Mot­to: Sie wol­len laden? Wir wer­den liefern!

Dafür gibt’s zum Glück einen QR-Code auf der Lade­sta­ti­on. Was macht man, wenn der zu einem „Feh­ler 404 – Sei­te nicht gefun­den“ führt? Loo­king at you, Stadt­ver­wal­tung Koblenz.

Der QR-Code zu den Bedien-, Tarif- und Störungshinweisen zur Ladestation hat – eine Störung. Einfach mal einscannen, klappt auch mit dem Foto.

Der QR-Code zu den Bedien‑, Tarif- und Stö­rungs­hin­wei­sen zur Lade­sta­ti­on hat – eine Stö­rung. Ein­fach mal ein­scan­nen, klappt auch mit dem Foto.

Wei­te­re inves­ti­ga­ti­ve Recher­chen ste­hen aus, ich erwar­te nicht weni­ger als eine Kon­to­ein­rich­tung mit Video-Iden­ti­fi­ka­ti­on, per­sön­li­cher Kun­den­kar­te mit bio­me­tri­schem Pass­fo­to und 12-Monats-Abo. Und ein biss­chen Auf­wand, wenn ich dem­nächst mal in May­en, Mainz oder Mon­ta­baur laden möchte.

So parkt jetzt ein Peu­geot e‑208 oder ähn­lich mit noch 38 Kilo­me­tern Reich­wei­te vor mei­nem Haus. Sei­ne geschwun­ge­nen Augen bli­cken sehn­süch­tig auf den Park­platz des VW Sha­ran neben­an, der dem­nächst in die ewi­gen Jagd­grün­de der Schum­mel­die­sel ein­geht, um sein letz­tes Dasein als eigent­lich doch ganz wacke­rer Wolfs­bur­ger in den Step­pen von Sudan, Sam­be­si oder Suhl zu fristen.

Dort, wo sich 1000 km Reich­wei­te mit einem Schlauch an der Tank­stel­le in fünf Minu­ten nach­la­den lassen.

Epi­log (1)

Auf mei­ne Beschwer­de hin mel­de­te sich eine freund­li­che Dame von Sixt und bot an, den Peu­geot oder ähn­lich mit dem man­geln­den Lade­ka­bel gegen einen Peu­geot oder ähn­lich mit vor­han­de­nem Lade­ka­bel zu tau­schen. Ger­ne woll­te ich das Ange­bot wahr­neh­men und hielt es für prag­ma­tisch, doch ein­fach nur das Lade­ka­bel nach­zu­lie­fern, man müss­te ja nicht gleich den Has­sel eines kom­plet­ten Auto­tau­sches vor­neh­men. Das war dann aller­dings nicht mög­lich. Und vor Ort bei Sixt ent­pupp­te sich der neue Peu­geot oder ähn­lich dies­mal als Opel Cor­sa, einem alten Benziner.

Auf mei­ne Inter­ven­ti­on hin wan­del­te man ihn wie­der­um zu einem neue­ren Zoe mit­samt Lade­ka­bel, „die Peu­geots kom­men bestimmt bald wie­der rein“. Der Zoe ist sogar mit neu­er Soft­ware etwas kom­for­ta­bler aus­ge­stat­tet: Erst­mals zeigt er den eco-Modus an, wenn man die eco-Tas­te drückt. Dann fährt der Zoe aller­dings nicht schnel­ler als 70. Eine Exper­tin schreibt mir, der eco-Modus sei halt nicht für die Auto­bahn geeig­net. Mir schwant: Am meis­ten eco ist ein Auto, das nicht fährt. Oder bes­ser noch eines, das man nicht braucht.

Epi­log (2)

Der ganz­heit­li­che Schlacht­plan eines Ioniq 5 als das eigent­lich gewünsch­te Elek­tro­fahr­zeug – vor­aus­ge­setzt eine Pro­be­fahrt offen­bart kei­ne unge­wünsch­ten Sei­ten­ef­fek­te – nimmt nun doch For­men an. Es bedurfte

  • eines wei­te­ren Anrufs beim ört­li­chen Händler,
  • einem ange­kün­dig­ten Lea­sing­an­ge­bot, das eine Woche spä­ter immer noch nicht gemailt war,
  • eines noch­ma­li­gen Anrufs zur Erinnerung,
  • eines hilf­rei­chen Rück­rufs vom Chef.

Der Ver­käu­fer ist an Coro­na erkrankt, da wünscht man gute Bes­se­rung und freut sich, dass der Händ­ler über­haupt in der Lage ist, ein Auto zu verkaufen.

Nur ob die staat­li­che För­de­rung mit ein­ge­rech­net wer­den kann, das ist „wegen der Bun­des­re­gie­rung“ frag­lich, „Sie haben ja bestimmt das Dra­ma um die KfW-För­de­rung mit­be­kom­men“. Denn die Lie­fer­zeit für einen Ioniq 5 beträgt: 12 Monate.

Epi­log 3

Anruf beim Amt, ob man mir hel­fen kön­ne, wie ich die Lade­sta­ti­on mit dem defek­ten QR-Code nut­zen kön­ne. Das steht im Inter­net, ant­wor­tet Herr B. Ja, wo denn?, fra­ge ich zurück und erwäh­ne die halb­stün­di­ge Kon­sul­ta­ti­on von koblenz​.de, evm​.de und Goog​le​.de. (Die Zoe-Sei­te erwäh­ne ich nicht.)

Er ver­spricht, sich auch mal umzu­schau­en, und eine hal­be Stun­de spä­ter, was für ein Ser­vice, schickt er mir die Anlei­tung per Mail: Man gehe aufs Geo­por­tal der Stadt. Dort den ÖPNV her­aus­neh­men. Die Elek­tro­la­de­säu­len aus­wäh­len. Zur Schu­le auf dem Aster­stein scrol­len, dem Link dort folgen.

Auf der Sei­te steht dann:

Spontan­la­den (ad hoc) ohne vor­he­ri­ge Regis­trie­rung ist hier möglich.

Ich bin begeis­tert. Nur wie?

Habe mich jetzt mal für eine der dort genann­ten Kar­ten regis­triert, sol­che Pro­ble­me von Elek­tro­pio­nie­ren sind ja nur dor­ni­ge Chancen.