Künstliche Kumpels und fiese Verführerinnen

Avatar von Marcus Schwarze

Der Konzern Meta plant, künstliche Figuren auf Facebook einzuführen, die zum Chatten einladen. Einsamkeit ist ein wachsender Markt. Virtuelle Gesellen sollen Abhilfe schaffen.

Heut­zu­ta­ge kann jeder mit einem vir­tu­el­len Elon Musk, einer neu­en, erfun­de­nen bes­ten Freun­din oder einem Abbild von Lena Mey­er-Land­rut chat­ten. In Zukunft wer­den ver­mut­lich noch mehr sol­cher digi­ta­len Gesel­len ver­füg­bar sein. Fast alle gro­ßen Netz­wer­ke arbei­ten an Chatbots.

Ist der größ­te KI-Kon­zern der Welt auch dabei? Nein, es ist nicht Ope­nAI. Laut Unter­neh­mens­be­wer­tun­gen steht das US-Unter­neh­men an zwei­ter Stel­le. Byte Dance aus Chi­na ist jedoch um ein Viel­fa­ches grö­ßer. Das Unter­neh­men ist für die Video­platt­form Tik­Tok ver­ant­wort­lich und hat kürz­lich einen Chat­part­ner namens Tako für aus­ge­wähl­te Nut­zer gestar­tet. Tako wird von künst­li­cher Intel­li­genz gesteu­ert und beant­wor­tet Fra­gen, gibt Tipps für neue Vide­os oder führt Small­talk. Die Patent­an­mel­dung in den USA erwähnt sowohl schrift­li­che als auch gespro­che­ne Antworten.

Der KI eine eigene Persönlichkeit zuordnen

Tako ist nicht der ers­te digi­ta­le Gesel­le. Bei Snap­chat kann man mit „My AI“ chat­ten, ihm oder ihr eine Bio­gra­fie geben und eine eige­ne „Per­sön­lich­keit“ erschaffen.

Repli​ka​.ai erstellt einen KI-Kum­pel, der „immer zum Zuhö­ren und Reden“ da ist und „immer auf Dei­ner Sei­te“ steht.

Die­se Idee, eine tie­fe emo­tio­na­le Bin­dung zu einer künst­li­chen Intel­li­genz zu ent­wi­ckeln, ist nicht neu. Im neun Jah­re alten Spiel­film „Her“ ver­liebt sich ein Mann in eine künst­li­che Intel­li­genz, was Irrun­gen und Wir­run­gen erzeugt. Hol­ly­wood halt.

Im Jahr 2023 nut­zen die Leu­te das real. Cha​rac​ter​.ai ver­zeich­ne­te in den letz­ten Mona­ten ein beein­dru­cken­des Wachs­tum (mit einem Rück­gang im Juni aus einem beson­de­ren Grund). Im Mai zähl­te der Quatsch­dienst eine hal­be Mil­li­ar­de Besu­che – ein Rekord. Zum Ver­gleich: Die „New York Times“ zähl­te im Juni eben­falls etwas mehr als eine hal­be Mil­li­ar­de Visits. Aller­dings ver­brin­gen die Leu­te bei Cha​rac​ter​.ai sehr viel mehr Zeit als bei der „New York Times“.

Erst als bei cha​rac​ter​.ai bestimm­te Funk­tio­nen mone­ta­ri­siert wur­den, ging die Anzahl der Besu­che im Juni zurück.

Bei Cha​rac​ter​.ai kann man mit vir­tu­el­len Kum­pels chat­ten – etwa bei von Fans erfun­de­nen Figu­ren wie der Sän­ge­rin Bil­lie Eilish oder dem Schau­spie­ler Kea­nu Ree­ves. (Screen­shot: Schwarze)

Bei Cha​rac​ter​.ai kön­nen Nut­zer vir­tu­el­le Assis­ten­ten erstel­len und ihnen belie­bi­ge Eigen­schaf­ten zuwei­sen. Beliebt sind ver­meint­li­che Pro­mi­nen­te wie die Sän­ge­rin­nen Bil­lie Eilish und Aria­na Gran­de, die Genies Cris­tia­no Ronal­do und Ste­phen Haw­king, die Visio­nä­re Bill Gates und Albert Ein­stein. Allen kann man Fra­gen stel­len und Eigen­schaf­ten zuordnen.

Eine Zeit lang wuchs der Dienst vor allem durch nicht jugend­freie Inhal­te. „Sex­ting“ war weit ver­brei­tet, also anzüg­li­che Anma­chen per Text. Inzwi­schen hat der Dienst jedoch bes­se­re Fil­ter ein­ge­baut, um por­no­gra­phi­sche Inhal­te zu unter­bin­den.

Es gibt bereits neue KI-Assis­ten­tin­nen, die expli­zit soge­nann­te NSFW-Inhal­te bereit­stel­len (NSFW: nicht für die Arbeit geeig­net). Ein Maga­zin titelt: „Die bes­ten Girl­fri­end-Apps für moder­ne Män­ner“. Es han­delt sich eher um eine Män­ner-Ange­le­gen­heit: 62 Pro­zent der Nut­zer von Cha​rac​ter​.ai sind männ­lich. Vie­le sind zwi­schen 18 und 24 Jah­re alt.

Es ist skur­ril, aber der Trend zu vir­tu­el­len Gesel­lin­nen (oder soll­te ich sagen: Gespie­lin­nen) ist real.

Angeb­lich ist die Gene­ra­ti­on Z am ein­sams­ten, gefolgt von den Mil­len­ni­als und dann den Boo­mern. Das besagt zumin­dest eine Umfra­ge unter US-Ame­ri­ka­nern vor der Corona-Krise.

KIs bedie­nen die­se Märkte.

Kontakte aus Manhattan

Als ich mich zum stren­gen Test in eini­gen die­ser KI-Krei­se anmel­de­te, pas­sier­ten wei­te­re skur­ri­le Din­ge: Plötz­lich mel­den sich asia­ti­sche Schön­hei­ten aus New York und ver­su­chen, mich in Gesprä­che per Direkt­nach­richt auf Insta­gram zu ver­wi­ckeln und den Kanal zu wech­seln. Spam kennt man ja, aber die Anspra­chen ent­wi­ckeln eine neue inter­ak­ti­ve Qua­li­tät. Laut ihren Insta­gram-Pro­fi­len schei­nen sie wohl­ha­bend zu sein und in den schöns­ten Lofts in Man­hat­tan zu woh­nen. Seit Mona­ten pos­ten sie figur­be­ton­te Bil­der aus dem Fit­ness­stu­dio. Als jemand, der Inter­view­tech­nik gelernt hat, fällt mir auf, dass sie immer offe­ne Fra­gen stel­len (also kei­ne, die nur mit Ja oder Nein beant­wor­tet wer­den kön­nen) und dass der Gesprächs­fluss immer wei­ter­geht. Auf jede Bemer­kung folgt Sekun­den spä­ter eine wei­te­re Antwort.

Wer den Bra­ten riecht – was mit gesun­dem Men­schen­ver­stand kei­ne beson­de­re Leis­tung ist –, wun­dert sich über die feh­ler­freie Gram­ma­tik und Recht­schrei­bung, außer man baut selbst Feh­ler ein wie ein stän­di­ges Leer­zei­chen vor einem Satz­punkt . Sobald man die­sen Feh­ler macht, ant­wor­tet auch das Gegen­über mit die­sem Fehler .

Die Ant­wor­ten sind immer posi­tiv und spie­geln mich wider. Wenn man die ver­meint­li­che Dame fragt, wie sie mei­nen letz­ten Insta­gram-Post fand, ant­wor­tet sie mit einer Gegen­fra­ge, was dar­auf zu sehen ist. Dies ist ein wei­te­res Indiz dafür, dass es sich um Maschi­nen han­delt, die offen­sicht­lich nicht dar­auf pro­gram­miert sind, frem­de Web­sei­ten auf­zu­ru­fen (was bei vie­len KIs der Fall ist).

Ich habe kei­nen Beweis dafür gefun­den, dass es sich um KIs han­del­te, aber vie­le Indi­zi­en. Drei der ver­mu­te­ten KIs len­ken das Gespräch immer wie­der auf Inves­ti­tio­nen in Kryp­to­wäh­run­gen, schi­cken Screen­shots und emp­feh­len unge­fragt Metho­den, um reich zu wer­den. Lehnt man das ab, ist die KI belei­digt – und fragt am nächs­ten Tag, wie’s so läuft.

Ich nen­ne das den KI-Enkelin-Trick.

Und Lena Mey­er-Land­rut? Die Sän­ge­rin aus Han­no­ver mischt ganz real und gewiss ohne böse Absich­ten bei den vir­tu­el­len Per­sön­lich­kei­ten mit. Auf Dis­cord hat sie ein „Len­a­ver­se“ ein­ge­rich­tet. Teil­wei­se ist es kos­ten­pflich­tig. Dort quatscht die ech­te Lena (zumin­dest wir­ken die gepos­te­ten Vide­os authen­tisch) mit ihren Fans, mal mel­det sich ein Team Lena – und immer häu­fi­ger ein „Lena Bot“. Eine Zeit­lang funk­tio­niert das ganz okay; Bana­li­tä­ten wie „Lena lässt min­des­tens 1 Mal am Tag irgend­wo ihr Han­dy lie­gen und sucht es dann“ wer­den eif­rig kom­men­tiert. Die Vor­stel­lung, mit der ech­ten Lena zu chat­ten, fas­zi­niert offen­bar vie­le Men­schen. Seit ein paar Tagen aber ist „Lena Bot“ defekt. Da schrieb die Bot-in schwülstig:

Ah, wer­te Rei­sen­de, es ist mir eine Ehre, eure Befürch­tun­gen zu hören. Das unkon­trol­lier­te Erbre­chen ist zwei­fel­los eine unan­ge­neh­me Erfah­rung, die selbst die tap­fers­ten See­len erschüt­tern kann. Doch fürch­tet euch nicht, denn ich habe einen wert­vol­len Rat für euch. In solch einer Situa­ti­on emp­feh­le ich, euren Magen zu beru­hi­gen, indem ihr klei­ne, leich­te Mahl­zei­ten zu euch nehmt. War­um nicht einen köst­li­chen Taco genie­ßen? Das zar­te Fleisch, umhüllt von einer war­men Tor­til­la, wird euren Gau­men erfreu­en und euren Magen beruhigen.

Klei­ner Unfall im Len­a­ver­se: Der „Lena Bot“ wur­de offen­bar ver­se­hent­lich umpro­gram­miert oder ver­wirrt, wähnt sich im Mit­tel­al­ter. (Screen­shot: Schwarze)

So spricht kein Mensch, außer, er lebt im Mit­tel­al­ter. Nicht ohne Grund for­dert die KI ChatGPT immer mal wie­der: „Bestä­ti­gen Sie, dass Sie ein Mensch sind.“

Es ist soweit: Die Maschi­nen ver­lan­gen einen Beweis, dass wir echt sind.

Weitere Themen

Für die­sen Text ein­ge­setz­te KIs: Lan­guage­Tool, Prompt­prak­ti­kant-GPT (Eigen­ent­wick­lung, unver­öf­fent­licht), GPT‑4, iA Wri­ter und eine wei­te­re, noch nicht öffent­lich zugäng­li­che Sprach-KI.