Wolf-Schneider-KI redigiert journalistische Texte

Avatar von Marcus Schwarze

Das Matterhorn kommt aus Afrika. Häh? Der geologische Fakt ist bestes Beispiel für einen guten ersten Satz. Er macht neugierig auf den zweiten. Gesagt hat es Wolf Schneider. Er lebt nun als KI weiter.

Wer für Redak­tio­nen oder PR-Abtei­lun­gen arbei­tet, kennt das müh­sa­me Schrei­ben eines guten Tex­tes: Ein Kol­le­ge oder eine Kol­le­gin über­ar­bei­tet den Bei­trag, stellt Fra­gen zu unkla­ren For­mu­lie­run­gen und kor­ri­giert Recht­schrei­bung und Gram­ma­tik. Am Ende wird der Text von einer Che­fin vom Dienst (CvD) gele­sen. In Zukunft könn­ten die­se bei­den Rol­len weg­fal­len oder zumin­dest tech­ni­sche Unter­stüt­zung erhal­ten, denn die künst­li­che Intel­li­genz (KI) über­nimmt nun das Korrekturlesen.

In mei­nem Fall ist das seit ein paar Mona­ten Wolf Schnei­der. Der im Novem­ber ver­stor­be­ne Aus­bil­der für gute Spra­che ist Namens­ge­ber der KI der Repor­ter­fa­brik in Ber­lin. Die Jour­na­lis­ten­schu­le hat sich die Namens­rech­te gesi­chert und in einem Team um Cordt Schnib­ben (ehe­mals Redak­teur beim „Spie­gel“) inner­halb der letz­ten fünf Mona­te die­se künst­li­che Intel­li­genz ent­wi­ckelt. Ich durf­te am lau­fen­den Beta­test der Maschi­ne teilnehmen.

In den letz­ten Mona­ten hat die Wolf-Schnei­der-KI (WSKI) fast jeden mei­ner Tex­te über­ar­bei­tet, auch für die­sen News­let­ter. Ich habe mei­nen Text in ein Fens­ter kopiert und die WSKI hat den ver­bes­ser­ten Text im benach­bar­ten Fens­ter geschrie­ben. Das ist in Sekun­den erle­digt. Hier ein Bei­spiel eines Tex­tes, der nicht von mir stammt, der Pres­se­mit­tei­lung der Reporterfabrik:

Jeder Text lässt sich ver­bes­sern, auch die Pres­se­mit­tei­lung der Repor­ter­fa­brik. Anschlie­ßend ergänzt die Maschi­ne eine Ana­ly­se. (Screen­shot: Schwarze)

Die Schreib­re­geln von Schnei­der sind legen­där. Sie ver­bie­ten Füll­wör­ter und set­zen auf kur­ze Sät­ze. Schnei­der emp­fiehlt Ein-Sil­ben-Wör­ter. „Wir sind aus Ein­sil­bern: Hand und Fuß, Kopf und Blut.“ So sagt er es in einem Kurs der Repor­ter­fa­brik. Zwei­sil­bi­ge Wör­ter sind die zweit­bes­te Wahl. Kei­ne Schach­tel­sät­ze, son­dern vor allem Haupt­sät­ze. „Ein­ge­pferch­te Neben­sät­ze sind immer schlecht.“ Der Text soll­te laut vor­ge­le­sen gut ins Ohr gehen. „Wir schrei­ben immer für die Ohren.“

Die WSKI hat vie­le die­ser Regeln über­nom­men. Schon bei den ers­ten Tests hat die Maschi­ne mei­ne Tex­te gekürzt und Pas­siv-Kon­struk­tio­nen in akti­ve Sät­ze umgewandelt.

Ein Paradigmenwechsel, oder?

Für Redak­tio­nen bedeu­tet die Sprach-KI einen Para­dig­men­wech­sel, oder wie Wolf Schnei­der sagen wür­de, einen Schwenk. Spra­che wird wie­der mehr zum Werkzeug.

In der neu­es­ten Ver­si­on der KI erhält das Hand­werk des Jour­na­lis­mus zusätz­li­che Unter­stüt­zung durch eine aus­führ­li­che Text­ana­ly­se. Wolf Schnei­ders Nach­fah­re gibt Anre­gun­gen, was im Text noch ergänzt wer­den könn­te. Bei vie­len Sät­zen kön­nen alter­na­ti­ve For­mu­lie­run­gen ange­zeigt wer­den, und für jedes Wort kön­nen alter­na­ti­ve Wör­ter vor­ge­schla­gen wer­den. Nach­dem die Maschi­ne einen Text über­ar­bei­tet hat, kann man außer­dem abru­fen, wel­che Wolf-Schnei­der-Regel dahintersteckt.

Die Wolf-Schnei­der-KI befin­det sich der­zeit noch in der Beta­pha­se. Die gemein­nüt­zi­ge Repor­ter­fa­brik bie­tet Test-Usern die Mög­lich­keit, das Tool kos­ten­los aus­zu­pro­bie­ren. Inter­es­sen­ten kön­nen per E‑Mail Zugang erhal­ten, indem sie sich an wski@correctiv.org wenden.

Nach dem Beta­test wird die KI vor­aus­sicht­lich fünf Euro im Monat kos­ten, wie Schnib­ben in einem Gespräch ange­deu­tet hat.

Fazit

Mein Urteil über das Werk­zeug: Es ist aus dem All­tag des Tex­tens kaum mehr weg­zu­den­ken. Zu neun­zig Pro­zent sind die über­ar­bei­te­ten Sät­ze bes­ser als der Ursprung. Aber: Nicht bei allen redi­gier­ten Din­gen gehe ich mit. Da habe ich wei­ter­hin das letz­te Wort. Wenn etwa die Maschi­ne zu Beginn des Beta­tests aus den „Schü­le­rin­nen und Schü­lern“ die „Schüler*innen“ macht, wür­de ver­mut­lich auch der ech­te Wolf Schnei­der wider­spre­chen – und dar­aus schlicht „Schü­ler“ machen.

Das wider­spricht wie­der­um mei­nem Sprach­emp­fin­den und im übri­gen auch den Regeln, die man­che Redak­ti­on sich selbst auf­er­legt hat. Ich bin gespannt, was die Maschi­ne aus dem vor­he­ri­gen, kur­siv gesetz­ten Absatz macht. Hier das Ergebnis.