Schlagwort: Journalismus

  • Das plant Merz als Erstes im Kanzleramt

    Das plant Merz als Erstes im Kanzleramt

    (Screen­shot: Mar­cus Schwarze/YouTube/CDU)

    Ange­kün­digt hat Merz das vor zwei Mona­ten bei einem lau­ni­gen Talk mit Mar­kus Söder auf dem You­Tube-Kanal der CDU Deutsch­lands (kurz vor Schluss ab Minu­te 35.32). Nun bin ich zwar poli­tisch inter­es­siert, doch schaue ich nicht regel­mä­ßig Vide­os von Par­tei­en, eher sel­te­ner von der CDU und noch sel­te­ner bis zum Schluss. Mei­ne bevor­zug­ten Quel­len sind eher her­vor­ge­ho­be­ne Aus­schnit­te auf Social-Media-Kanälen.

    Und neu­er­dings häu­fi­ger von der KI. Denn die­se Aus­sa­ge von Merz habe nicht ich ent­deckt, son­dern der Dienst Note­book­LM von Goog­le. Eine Gegen­re­cher­che mit klas­si­schem Goo­geln und über Per­ple­xi­ty zeig­te mir, dass die­se Kicker-Aus­sa­ge offen­sicht­lich kei­ne ande­ren Medi­en auf­ge­grif­fen haben. War­um soll­ten sie auch, es waren ja noch zwei Mona­te bis zur Wahl, die Ankün­di­gung ist eher bou­le­var­desker Slap­stick, und wahr­schein­lich haben vie­le Jour­na­lis­ten Bes­se­res zu tun, als Par­tei­vi­de­os bis zum Schluss zu schauen.

    Nun aber rückt der Ein­zug ins Kanz­ler­amt näher. Sobald die Wahl­nacht durch ist, die Stim­men gezählt sind und Kon­stel­la­tio­nen für Koali­tio­nen durch­dis­ku­tiert wer­den, stür­zen sich Medi­en und Poli­tik dar­auf: Wer spricht mit wem? Das Detail mit dem Kicker­tisch könn­te als „lus­ti­ger“, Sili­con-Val­ley-liker, men­scheln­der Auf­hän­ger dienen. 

    Wie fin­det die KI so ein Zitat?

    Die Lösung ist Note­book­LM. Das Tool von Goog­le bekom­men Nut­zer des Workspace-Ange­bots von Goog­le seit ein paar Tagen oben­drauf zu ihrem Mail­post­fach und Goog­le Dri­ve. Alle ande­ren kön­nen den Dienst für 21,99 Euro im Monat sepa­rat buchen. Man bekommt dafür eine Chat­mög­lich­keit mit Gemi­ni, der KI von Goog­le. Und Note­book­LM stellt zusätz­lich einen indi­vi­du­el­len Spei­cher­be­reich für Spe­zi­al­wis­sen zur Verfügung.

    Das Spe­zi­al­wis­sen kön­nen bis zu 300 Doku­men­te sein. PDFs, Word-Tex­te, ein­ko­pier­te Arti­kel und Links. Und jetzt kommt’s: Auch You­Tube-Vide­os las­sen sich als Links ergän­zen. Und MP3-Pod­casts. In die­sem Fall habe ich ein­fach das Wahl­pro­gramm der CDU, Links zu lan­gen Arti­keln im Web mit Aus­sa­gen von Merz, teil­wei­se Arti­kel hin­ter Bezahl­schran­ken kopiert und ein­ge­fügt, zu denen ich Zugang habe. 22 Quel­len befand ich für rele­vant, fürs Ers­te hat­te ich sie nur über­flo­gen. Dann frag­te ich die Goog­le-KI Note­book­LM: „Was hat Merz Unge­wöhn­li­ches oder Kurio­ses gesagt?“

    Das Ergeb­nis waren Hin­wei­se auf jugend­li­che Rabau­ken­jah­re in der Bio­gra­phie Merz’, dass er mal schul­ter­lan­ge Haa­re getra­gen hat und eben auch, dass der Kicker im Büro das Ers­te im Bun­des­kanz­ler­amt wäre. Eine gro­ße Wis­sens­samm­lung aus Doku­men­ten, Vide­os und Ton­da­tei­en wird plötz­lich befrag­bar. Samt ange­zeig­ten Links zur hin­ter­leg­ten Quelle.

    Wer sich immer wie­der The­men erschlie­ßen möch­te, fin­det dank Note­book­LM ein sinn­vol­les Werk­zeug für die Haus­ar­beit, die Semi­nar­vor­be­rei­tung oder das anste­hen­de Inter­view. Oder einen Arti­kel, der mit einer Anek­do­te oder etwas Kurio­sem ein­stei­gen soll. 300 Quel­len zu durch­su­chen und zu befra­gen, das hat frü­her Stun­den und Tage an Arbeit bedeu­tet. Zumal, wenn Vide­os und Pod­casts dazu gehö­ren. Note­book­LM fin­det die Nadel im Heu­hau­fen. Wenn man mit den rich­ti­gen Fra­gen danach sucht.

  • „Perplexity“: Neue KI-Funktion sorgt für Furore und Bedenken
    (Illustration: Marcus Schwarze/Midjourney, KI-generiert)

    „Perplexity“: Neue KI-Funktion sorgt für Furore und Bedenken

    In Per­ple­xi­ty ist es seit ver­gan­ge­nem Don­ners­tag mög­lich, eige­ne Sei­ten ein­zu­rich­ten. „Kura­tiert von mar­cus­schwar­ze“, steht dann dar­über. Doch in Wahr­heit unter­nimmt Per­ple­xi­ty die Zusam­men­stel­lung. Zu einem belie­bi­gen The­ma schnappt sich die Maschi­ne öffent­lich zugäng­li­che Infor­ma­tio­nen. Ich habe es mit den Nach­wir­kun­gen auf das Ras­sis­mus-Video von Sylt aus­pro­biert. Inner­halb von Sekun­den hat die KI nahe­zu alles zusam­men­ge­tra­gen, was man dazu wis­sen muss; die Reak­tio­nen aus der Poli­tik, Aus­wir­kun­gen auf Betrof­fe­ne (wobei die Maschi­ne die dis­kri­mi­nier­ten Per­so­nen meint, nicht die im Video sicht­ba­ren Gröl­hei­nis), die Rol­le der sozia­len Medi­en und die Kon­se­quen­zen für die Par­ty­gäs­te. Illus­triert wird das The­ma mit einem Screen­shot eines You­Tube-Vide­os des NDR.

    Wer sich als Redak­ti­on ernst­haft mit dem The­ma befasst, hat so ohne Wei­te­res die nöti­gen Infor­ma­tio­nen. Immer­hin ver­linkt Per­ple­xi­ty auf die­ser Sei­te die jeweils genutz­ten Quel­len, von „Süd­deut­scher Zei­tung“ bis Tages­schau. Dass hier­bei auch die „Jun­ge Frei­heit“ als Sprach­rohr der „Neu­en Rech­ten“ vor­kommt, zeigt die Unbe­darft­heit der KI.

    (Illus­tra­ti­on: Mar­cus Schwarze/Midjourney, KI-generiert)

    Auch an ande­rer Stel­le macht Per­ple­xi­ty Bedenk­li­ches. In einer kura­tier­ten Sei­te über mein Lieb­lings­the­ma KI zitiert sie aus einem Text, der eigent­lich hin­ter der Bezahl­schran­ke des Medi­ums steht. Wo mensch­li­che Leser zum Abschluss eines Abos auf­ge­for­dert wer­den, holt sich die KI den Inhalt aus dem Quell­text der Sei­te. Ver­mut­lich wer­den eini­ge Betrei­ber von Con­tent-Manage­ment-Sys­te­men ihre Bezahl­schran­ken umpro­gram­mie­ren müs­sen, damit sie die Inhal­te nicht im Quell­text preisgeben.

    Ver­stö­rend ist die Leich­tig­keit, mit der die Maschi­ne die The­men abar­bei­tet. In einer Rubrik „Ent­de­cken“ zeigt Per­ple­xi­ty die wich­tigs­ten The­men der ver­gan­ge­nen Tage: den Sieg von Real Madrid in der Cham­pi­ons League, einen neu­en Strea­ming­dienst für KI-Inhal­te, den Start­ab­bruch einer Nasa-Rake­te. Das sind The­men, die ein „Per­ple­xi­ty-Team“ ein­ge­stellt hat. Wer will, stellt sich auf glei­che Wei­se die Top-Koch­bü­cher für 2024 zusam­men oder die Top Zehn der YouTuber.

    Das ist alles nur geklaut, was die KI hier als „eige­ne“ Inhal­te aus­wirft. Der eine und die ande­re wird even­tu­ell als ver­link­te Quel­le eini­ge Klicks abbe­kom­men, doch dürf­te vie­len die hand­li­che Über­sicht reichen.

    Wie Jour­na­lis­mus mit­tel­fris­tig zu finan­zie­ren ist, bleibt unklar. Die auf­wen­di­ge Recher­che einer klas­si­schen Redak­ti­on wird die KI wahr­schein­lich wei­ter­hin nicht erset­zen. An die­ser Nach­rich­ten­auf­be­rei­tung ver­dient zur­zeit nur Per­ple­xi­ty: Der Pro-Dienst kos­tet 20 Dol­lar im Monat. Dahin­ter ste­hen als Inves­to­ren unter ande­rem Jeff Bezos, der Grün­der von Ama­zon, und Nvi­dia, der Her­stel­ler von Gra­fik­kar­ten für PCs. Frei­lich hat Per­ple­xi­ty auch Kos­ten durch sol­che Sei­ten und die Auf­be­rei­tung der Tex­te durch KI-Maschi­nen. Zum Ein­satz kom­men wahl­wei­se ein eige­nes Per­ple­xi­ty-Modell oder die KI-Diens­te GPT-4o oder GPT‑4 Tur­bo von Ope­nAI sowie Clau­de 3 von Anthropics.

  • Wolf-Schneider-KI redigiert journalistische Texte

    Wolf-Schneider-KI redigiert journalistische Texte

    Wer für Redak­tio­nen oder PR-Abtei­lun­gen arbei­tet, kennt das müh­sa­me Schrei­ben eines guten Tex­tes: Ein Kol­le­ge oder eine Kol­le­gin über­ar­bei­tet den Bei­trag, stellt Fra­gen zu unkla­ren For­mu­lie­run­gen und kor­ri­giert Recht­schrei­bung und Gram­ma­tik. Am Ende wird der Text von einer Che­fin vom Dienst (CvD) gele­sen. In Zukunft könn­ten die­se bei­den Rol­len weg­fal­len oder zumin­dest tech­ni­sche Unter­stüt­zung erhal­ten, denn die künst­li­che Intel­li­genz (KI) über­nimmt nun das Korrekturlesen.

    In mei­nem Fall ist das seit ein paar Mona­ten Wolf Schnei­der. Der im Novem­ber ver­stor­be­ne Aus­bil­der für gute Spra­che ist Namens­ge­ber der KI der Repor­ter­fa­brik in Ber­lin. Die Jour­na­lis­ten­schu­le hat sich die Namens­rech­te gesi­chert und in einem Team um Cordt Schnib­ben (ehe­mals Redak­teur beim „Spie­gel“) inner­halb der letz­ten fünf Mona­te die­se künst­li­che Intel­li­genz ent­wi­ckelt. Ich durf­te am lau­fen­den Beta­test der Maschi­ne teilnehmen.

    In den letz­ten Mona­ten hat die Wolf-Schnei­der-KI (WSKI) fast jeden mei­ner Tex­te über­ar­bei­tet, auch für die­sen News­let­ter. Ich habe mei­nen Text in ein Fens­ter kopiert und die WSKI hat den ver­bes­ser­ten Text im benach­bar­ten Fens­ter geschrie­ben. Das ist in Sekun­den erle­digt. Hier ein Bei­spiel eines Tex­tes, der nicht von mir stammt, der Pres­se­mit­tei­lung der Reporterfabrik:

    Jeder Text lässt sich ver­bes­sern, auch die Pres­se­mit­tei­lung der Repor­ter­fa­brik. Anschlie­ßend ergänzt die Maschi­ne eine Ana­ly­se. (Screen­shot: Schwarze)

    Die Schreib­re­geln von Schnei­der sind legen­där. Sie ver­bie­ten Füll­wör­ter und set­zen auf kur­ze Sät­ze. Schnei­der emp­fiehlt Ein-Sil­ben-Wör­ter. „Wir sind aus Ein­sil­bern: Hand und Fuß, Kopf und Blut.“ So sagt er es in einem Kurs der Repor­ter­fa­brik. Zwei­sil­bi­ge Wör­ter sind die zweit­bes­te Wahl. Kei­ne Schach­tel­sät­ze, son­dern vor allem Haupt­sät­ze. „Ein­ge­pferch­te Neben­sät­ze sind immer schlecht.“ Der Text soll­te laut vor­ge­le­sen gut ins Ohr gehen. „Wir schrei­ben immer für die Ohren.“

    Die WSKI hat vie­le die­ser Regeln über­nom­men. Schon bei den ers­ten Tests hat die Maschi­ne mei­ne Tex­te gekürzt und Pas­siv-Kon­struk­tio­nen in akti­ve Sät­ze umgewandelt.

    Ein Paradigmenwechsel, oder?

    Für Redak­tio­nen bedeu­tet die Sprach-KI einen Para­dig­men­wech­sel, oder wie Wolf Schnei­der sagen wür­de, einen Schwenk. Spra­che wird wie­der mehr zum Werkzeug.

    In der neu­es­ten Ver­si­on der KI erhält das Hand­werk des Jour­na­lis­mus zusätz­li­che Unter­stüt­zung durch eine aus­führ­li­che Text­ana­ly­se. Wolf Schnei­ders Nach­fah­re gibt Anre­gun­gen, was im Text noch ergänzt wer­den könn­te. Bei vie­len Sät­zen kön­nen alter­na­ti­ve For­mu­lie­run­gen ange­zeigt wer­den, und für jedes Wort kön­nen alter­na­ti­ve Wör­ter vor­ge­schla­gen wer­den. Nach­dem die Maschi­ne einen Text über­ar­bei­tet hat, kann man außer­dem abru­fen, wel­che Wolf-Schnei­der-Regel dahintersteckt.

    Die Wolf-Schnei­der-KI befin­det sich der­zeit noch in der Beta­pha­se. Die gemein­nüt­zi­ge Repor­ter­fa­brik bie­tet Test-Usern die Mög­lich­keit, das Tool kos­ten­los aus­zu­pro­bie­ren. Inter­es­sen­ten kön­nen per E‑Mail Zugang erhal­ten, indem sie sich an wski@correctiv.org wenden.

    Nach dem Beta­test wird die KI vor­aus­sicht­lich fünf Euro im Monat kos­ten, wie Schnib­ben in einem Gespräch ange­deu­tet hat.

    Fazit

    Mein Urteil über das Werk­zeug: Es ist aus dem All­tag des Tex­tens kaum mehr weg­zu­den­ken. Zu neun­zig Pro­zent sind die über­ar­bei­te­ten Sät­ze bes­ser als der Ursprung. Aber: Nicht bei allen redi­gier­ten Din­gen gehe ich mit. Da habe ich wei­ter­hin das letz­te Wort. Wenn etwa die Maschi­ne zu Beginn des Beta­tests aus den „Schü­le­rin­nen und Schü­lern“ die „Schüler*innen“ macht, wür­de ver­mut­lich auch der ech­te Wolf Schnei­der wider­spre­chen – und dar­aus schlicht „Schü­ler“ machen.

    Das wider­spricht wie­der­um mei­nem Sprach­emp­fin­den und im übri­gen auch den Regeln, die man­che Redak­ti­on sich selbst auf­er­legt hat. Ich bin gespannt, was die Maschi­ne aus dem vor­he­ri­gen, kur­siv gesetz­ten Absatz macht. Hier das Ergebnis.