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  • Nächste Stufe der KI: Rewind macht fast alles durchsuchbar, was Du digital tust

    Nächste Stufe der KI: Rewind macht fast alles durchsuchbar, was Du digital tust

    (Illus­tra­ti­on: Mar­cus Schwarze/Midjourney, KI-generiert)

    Rewind, eine Soft­ware, erin­nert mich an den älte­ren Kol­le­gen, dem ich im zar­ten Alter von 26 als Volon­tär an den Kat­zen­tisch in sei­nem Büro in Han­no­ver zuge­ord­net wur­de: Sorg­fäl­tig hef­te­te der Redak­teur regel­mä­ßig die Visi­ten­kar­ten sei­ner Gesprächs­part­ner der ver­gan­ge­nen Tage ab. Es war ihm unge­mein wich­tig, dem jun­gen Bur­schen Ähn­li­ches bei­zu­brin­gen, von wegen jour­na­lis­ti­sches Kapi­tal: Ein gut geführ­tes per­sön­li­ches Adress­buch ist, wer weiß wann, nützlich.

    Rewind macht Ver­gleich­ba­res. Nur, ähm, größer.

    Die Soft­ware klinkt sich in die Akti­vi­tä­ten am Rech­ner ein. Sie zeich­net auf. Und zwar nicht nur das Gespro­che­ne in Video­kon­fe­ren­zen. Son­dern auch ver­sand­te und emp­fan­ge­ne Mails. Auf­ge­ru­fe­ne Web­sei­ten. Word-Doku­men­te und Prä­sen­ta­tio­nen. Sämt­li­che gezeig­te oder gese­he­ne Bildschirminhalte.

    Und zwar im Sekundentakt.

    Rewind legt eine Tex­terken­nung über die Bild­schirm­in­hal­te. Sie tran­skri­biert gespro­che­ne Inhal­te zu les­ba­ren Tex­ten. Und legt sie in eine Daten­bank. In drei Tagen kamen bei mir sechs Giga­byte an Daten zusammen.

    Ein Tran­skript einer Video­kon­fe­renz hält auch Bana­les fest, wie das Lachen eines Gesprächs­part­ners vor dem Klin­geln des Paket­bo­ten an der Haus­tür. Jedoch ist die KI in der Lage, eine sinn­vol­le Zusam­men­fas­sung des Tran­skripts zu erstel­len. Rewind zeich­net zunächst alles auf und macht dies dann durch­such­bar. (Screen­shot: Schwarze)

    Und sie macht sämt­li­che Inhal­te durch­such­bar. In ein­fa­cher Spra­che. Eine Künst­li­che Intel­li­genz eben (KI).

    „Was habe ich am ver­gan­ge­nen Mon­tag gemacht?“

    Ant­wort Rewind: Sie haben eine Stel­lung­nah­me des Bis­tums Trier zum Fall Edmund Dil­lin­ger her­un­ter­ge­la­den. (Link zu den Screenshots)

    Sie haben sich Infor­ma­tio­nen zur BUGA 2029 und zum Blog­gen über das Mit­tel­rhein­tal ange­se­hen. (Link zu den Screenshots)

    Sie haben eine E‑Mail von [XY] erhal­ten und beant­wor­tet. (Links zu den bei­den Mails)

    Sie haben den Text „E‑Book […]“ bear­bei­tet. (Link zu dem Dokument)

    Klar habe ich digi­tal noch mehr gemacht, aber so unge­fähr zumin­dest waren das die ers­ten Din­ge des Tages. Die Fra­ge lässt sich ver­fei­nern und bringt sinn­vol­le Ant­wor­ten: „Was habe ich mit [XY] gemacht?“ Die Maschi­ne sucht für den Tag ent­spre­chen­de Mails und Chat-Inhal­te heraus.

    Als das „per­fek­te Gedächt­nis“ bezeich­nen die Macher von Rewind ihre Soft­ware. Gegen­wär­tig funk­tio­niert sie nur auf Macs mit neu­es­tem Pro­zes­sor. Denn die Tex­terken­nung auf den sekünd­lich erstell­ten Screen­shots und die Sprach­er­ken­nung von Ton­auf­nah­men erfor­dert beson­ders schnel­le Pro­zes­so­ren – mit ein­ge­bau­ten Funk­tio­nen der künst­li­chen Intel­li­genz, die Apple bereits hin­ter­legt hat. Angeb­lich erkennt die KI auch Moti­ve in Bil­dern, wie Kevin Chen her­aus­ge­fun­den hat.

    Von der Apple-KI im Pro­gramm „Fotos“ ist die Funk­ti­on bereits bekannt. Da zeigt die Suchen-Funk­ti­on nach „Ele­fant“ dann alle Bil­der mit einem Ele­fan­ten, selbst wenn das Wort nir­gends in den Meta­da­ten oder Datei­na­men ent­hal­ten ist – son­dern das Tier nur zu sehen ist.

    Was ist das für eine mäch­ti­ge Suchen-Funk­ti­on für die eige­nen digi­ta­len Akti­vi­tä­ten? In den Ein­stel­lun­gen erlaubt Rewind, die Daten „für immer“ zu spei­chern. Sprich: bis der Spei­cher­platz nicht mehr aus­reicht. Wahl­wei­se kön­nen auch eine Woche oder meh­re­re Mona­te oder ein Jahr ein­ge­stellt wer­den. Ein­zel­ne Apps kön­nen von der Spei­che­rung aus­ge­schlos­sen wer­den, angeb­lich auch der Priv­at­mo­dus von Brow­ser­fens­tern (was aller­dings nicht funktioniert).

    Der Her­stel­ler ver­spricht, Daten­schutz zu beach­ten. Kei­ne Ton­auf­nah­men oder Bild­schirm­fo­tos wür­den den eige­nen Rech­ner ver­las­sen. Jedoch wider­spricht er sich bereits ein paar Sät­ze spä­ter: Um auf Fra­gen zu ant­wor­ten, über­mit­telt Rewind die ver­tex­te­ten Inhal­te, auf einen Kern redu­ziert, an die Künst­li­che Intel­li­genz von Rewind im Netz und von dort wei­ter an Ope­nAI. Sicher ein Geht-ja-gar-nicht-Kri­te­ri­um für Jour­na­lis­ten und vie­le ande­re. Dass Ton­auf­zeich­nun­gen aus Video­kon­fe­ren­zen tran­skri­biert wer­den, soll­te mit jedem Teil­neh­men­den bespro­chen wer­den. Heim­li­che Ton­auf­nah­men sind strafbar.

    Die Funk­ti­on aber ist mäch­tig. Rewind hat sich im Grun­de als poten­zi­el­ler Über­nah­me­kan­di­dat durch Apple posi­tio­niert. Das rie­si­ge Unter­neh­men hat in sei­nen Daten­schutz­er­klä­run­gen stets die Wah­rung von Pri­vat­sphä­re und Ach­tung des Daten­schut­zes her­vor­ge­ho­ben. Wenn die Kali­for­ni­er nicht selbst an etwas Gro­ßem zur per­sön­li­chen Durch­such­bar­keit von digi­ta­len Erin­ne­run­gen arbei­ten – hier hät­ten sie mit Rewind einen Kan­di­da­ten. Wenn jemand das Rewind-Modell daten­schutz­kon­form wei­ter­ent­wi­ckeln kann, dann wäre es wohl Apple.

    Über­haupt dürf­te die Daten­schutz­grund­ver­ord­nung im gegen­wär­ti­gen Zustand ein gewich­ti­ger Ver­bots­grund für den Ein­satz der Rewind-App in ihrem jet­zi­gen Zustand in Euro­pa wer­den. Und die Daten­schutz­re­ge­lung von Unter­neh­men erst recht. Wenn Geschäfts­ge­heim­nis­se den eige­nen PC im Sekun­den­takt Rich­tung USA ver­las­sen, dürf­ten über­all Alarm­glo­cken klingen.

    Ande­rer­seits gibt es eine rei­ne Pri­vat­nut­zung von Rech­nern. Und ein nahe­lie­gen­des Geschäfts­mo­dell für Rewind und die Unter­neh­men könn­te sein, die Daten auf eine unter­neh­mens­ei­ge­ne KI zu begren­zen. Die ille­ga­le Über­wa­chung von Mit­ar­bei­ten­den steht dabei auf einem ande­ren Blatt.

    Das „per­fek­te Gedächt­nis“ wird so im Grun­de nur durch die phy­si­ka­li­schen Spei­cher­gren­zen von Fest­plat­ten begrenzt. „Woher ken­ne ich noch mal Georg XY?“, ist als Fra­ge nach einer Freund­schafts­an­fra­ge gar nicht mal unge­wöhn­lich und von Rewind schnell beant­wor­tet: Teil­neh­mer eines Lehr­gangs im Jahr 2015.

    Als hät­te man sich damals eine Visi­ten­kar­te ein­ge­holt und sie sorg­sam abgeheftet.

    Im Grun­de ent­steht so eine mäch­ti­ge Suchen­funk­ti­on für die digi­ta­le Krims­krams­schub­la­de. Man stel­le sie sich wei­ter­ent­wi­ckelt für das Han­dy vor: Wo hat­te ich noch mal die Bil­der von der kaput­ten und nun repa­rier­ten Brü­cke im Ahrtal gese­hen, die für einen Arti­kel taugen?

    In einer Web­kon­fe­renz war vor ein paar Wochen dies-und-das bespro­chen wor­den, wer hat da genau was gesagt und wie wur­de es entschieden?

    Oder: Zei­ge mir die jeweils fünf wich­tigs­ten E‑Mails, Snap­chat- und Whats­App-Nach­rich­ten von XY, beur­teilt nach der Zeit, die ich dar­auf ver­wen­det habe.

    Die Suchen-Funk­ti­on von Rewind fin­det auf die Schnel­le Inhal­te von auf­ge­ru­fe­nen Web­sei­ten oder selbst erstel­len Doku­men­ten – im Sekun­den­takt macht die Maschi­ne Screen­shots von ange­zeig­ten Sachen auf dem Moni­tor. Bis­her ist die Soft­ware begrenzt auf den Haupt­mo­ni­tor. (Screen­shot: Schwarze)

    Die Selbst­op­ti­mie­rung und Selbst­ver­mes­sung geht mit die­ser Art von künst­li­cher Intel­li­genz wei­ter. Sie erin­nert mich (sic!) an Jill Pri­ce, eine US-Ame­ri­ka­ne­rin. Sie lei­det und erfreut sich am Hyper­thy­mes­ti­schen Syn­drom. Das bedeu­tet: Sie kann nichts ver­ges­sen. Sie erin­nert sich an jeden Tag seit dem 5. Febru­ar 1980 – was in den Zei­tun­gen stand und in der Welt pas­sier­te, was sie mach­te und fühl­te. Alle guten und auch alle schlech­ten Sachen.

    Rewind macht nun das glei­che, zumin­dest bei den digi­ta­len Akti­vi­tä­ten. Die nächs­te Tür, die hier ein­mal mehr die künst­li­che Intel­li­genz im rasan­ten Jahr 2023 öff­net, weist in eine neue Welt. Ob wir sie öff­nen wol­len oder nur einen Spalt weit, wird jeder anders beant­wor­ten – aber irgend­je­mand da drau­ßen öff­net sie.

    Du willst womög­lich gar nicht so sehr an jedes Detail erin­nert wer­den kön­nen. Doof, wenn das dann jemand anders für dich ent­schie­den hat. Ein Recht auf Ver­ges­sen beinhal­tet im Grun­de auch eine Pflicht zum Ver­ges­sen für neue KI-Dienste.

    Aber suchen Sie dafür mal die ladungs­fä­hi­gen Adres­sen der Daten­schutz­be­auf­trag­ten auf den Web­sei­ten von Rewind und Co. Oder die­je­ni­gen unter ihren Freun­den, Kol­le­gin­nen und Geschäfts­part­nern, die sol­che Soft­ware bereits heim­lich in Video­kon­fe­ren­zen und auf ihren eige­nen Rech­nern ein­set­zen und somit eine bald voll­stän­di­ge Samm­lung der Kom­mu­ni­ka­ti­on mit Ihnen durch­such­bar machen.