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  • Videokonferenz mit einem Verdächtigen

    Videokonferenz mit einem Verdächtigen

    „Marcus’s AI Note­ta­ker“ hieß die­ser Teil­neh­mer. Sei­ne Video­ka­me­ra und das Mikro­fon waren aus­ge­schal­tet. Lus­tig, dach­te ich mir, da nutzt also ein ande­rer Teil­neh­mer mit mei­nem Namen das glei­che Kon­fe­renz­pro­to­koll­pro­gramm, das ich vor ein paar Tagen aus­pro­biert hat­te. „tl;dv“ heißt die Soft­ware: Sie klinkt sich in Video­kon­fe­ren­zen ein, zeich­net alles auf, ver­schrift­licht das Gesag­te und fasst die Beschlüs­se zusam­men. Das klapp­te in einem Test mit einem ein­ge­weih­ten Gesprächs­part­ner sehr gut.

    Kurzes Handgemenge

    In die­sem vir­tu­el­len Stamm­tisch aber galt die Regel: Nichts wird auf­ge­zeich­net. Also the­ma­ti­sier­ten wir „Marcus’s AI Note­ta­ker“ und wur­den uns schnell einig. Der KI-Bur­sche soll­te die Run­de ver­las­sen. Doch schwör­te der ande­re Mar­cus in der Run­de, aus irgend­wo in Nord­deutsch­land, Stein und Bein: Er habe ledig­lich die Unter­ti­telungs­funk­ti­on der Kon­fe­renz­soft­ware Zoom ein­ge­schal­tet. Und tat­säch­lich wur­de alles Gesag­te nahe­zu live vom „Zoom“-Konferenzprogramm ver­tex­tet. Aus­schal­ten ließ sich die Funk­ti­on im Nach­hin­ein nicht mehr. Kur­zes Hand­ge­men­ge mit mir, dem ande­ren Mar­cus aus Koblenz: Das ist eine ande­re KI als die­ser mys­te­riö­se Teilnehmer.

    Und plötz­lich ging mir ein Licht auf: Ver­dammt, der KI-Schnüff­ler kam aus mei­nem eige­nen Rech­ner! Hek­ti­sche Maus­be­we­gun­gen, auf dem Mac durch­such­te ich die Ein­stel­lun­gen von „tl;dv“. Doch ließ sich der digi­ta­le Gesel­le nur für künf­ti­ge Video­kon­fe­ren­zen stop­pen, nicht für die lau­fen­de. Auch der Gast­ge­be­rin des KI-Stamm­tischs waren die Hän­de gebun­den: Sie konn­te den unge­wünsch­ten Teil­neh­mer nicht ein­fach aus der Run­de kicken. Denn ein­ge­la­den hat­te jemand anders, der heu­te nicht anwe­send war. Wir waren alle nur Gäs­te an die­sem Tisch, die Admi­nis­tra­ti­on ver­lo­ren gegan­gen oder zumin­dest unauffindbar.

    Man spricht anders

    So plau­der­ten wir leicht amü­siert wei­ter, nichts war groß geheim. „Wer nichts zu ver­ber­gen hat, hat auch nichts zu befürch­ten“, lau­tet ein geflü­gel­tes Wort; an das ich aller­dings nicht glau­be, Vor­rats­da­ten­spei­che­rung hin, Ver­fas­sungs­ge­richts­ur­tei­le her. So mein­te ich auch hier zu bemer­ken: Man spricht anders unter Beob­ach­tung, und sei es durch eine Maschine.

    Tat­säch­lich ließ sich die lau­fen­de Auf­nah­me auch nicht in mei­nem Web­kon­to des KI-Pro­to­kol­lan­ten abstel­len. Mir fiel ein, dass ich ihn mit mei­nem Kalen­der ver­knüpft hat­te, und irgend­wo war ein Haken gesetzt, dass er an „allen“ Tref­fen teil­neh­men soll­te. Wer denkt sich so etwas aus? Rück­wir­kend und fürs lau­fen­de Tref­fen war die Maschi­ne nicht zu stoppen.

    Die Katze mischt mit

    Tat­säch­lich lie­fer­te der Dienst Sekun­den nach dem Stamm­tisch den Wort­laut alles Gesag­ten. Dazu gehör­ten unse­re Dis­kus­sio­nen über die schein­bar unab­schalt­ba­re Unter­ti­tel­funk­ti­on und den zusätz­lich mit­hö­ren­den KI-Gesel­len sowie Bemer­kun­gen über eine Kat­ze, die bei einer Teil­neh­me­rin über die Tas­ta­tur huschte.

    Flugs lösch­te ich die ille­ga­len Auf­zeich­nun­gen, den Wort­laut und die Zusam­men­fas­sung, und stopp­te das Pro­gramm auf mei­nem Rechner.

    Als ich Tage spä­ter den Com­pu­ter ein­mal neu star­ten muss­te, war „tl;dv“ wie­der prä­sent. Die Soft­ware muss­te auch aus dem Start­ord­ner mei­nes Macs gelöscht wer­den. Und zusätz­lich war der Zugriff auf mei­nen Kalen­der aus der Ser­ver­soft­ware der Anwen­dung zu entfernen.

    Ich habe mich da nun kom­plett gelöscht. Wir sind alle ver­lo­ren, wenn wir die Kon­trol­le über die Maschi­nen verlieren.